Auch viele Jahre nach der Liberalisierung wird ein relevanter Teil der Verbraucher noch durch den sogenannten Grundversorger mit Strom und Gas beliefert. Die gesetzlichen Regelungen bestimmen denjenigen Versorger zum Grundversorger, der in einem Netzgebiet die meisten Haushalte versorgt. Er ist allerdings in seiner Preisgestaltung weitgehend frei. Ferner ist die gesetzliche Regelung der Grundversorgung durchaus intransparent. Problematisch wird dies vor allem für Kunden, die den Strom- oder Gasanbieter aus verschiedenen Gründen nicht wechseln können oder wollen. Vielen steht bald die Energiearmut vor der Tür.
Bis zur nächsten Prüfung der Grundversorgungsregelung am 1.7.2021 liegen knapp drei Jahre vor uns. Dieser Zeitraum sollte genutzt werden, um ein neues, zielgerechtes und zukunftsfähiges Grundversorgungskonzept zu diskutieren und einzuführen, denn die politischen Spielräume zur Entlastung und Stärkung aller Verbraucher sind groß.
Infolgedessen empfehlen wir, die Grundversorgung auszuschreiben. Dann würde nicht mehr wie bisher derjenige Versorger mit den meisten Haushaltskunden in einem Netzgebiet „automatisch“ und ohne Berücksichtigung weiterer Kriterien diese Rolle übernehmen. Eine Ausschreibung eröffnet die Chance, neben der kostengünstigen Versorgung der Verbraucher weitere Ziele zu adressieren, ohne damit die Vorteile des Wettbewerbs zu riskieren. In der Grundversorgung gehört dazu ganz sicher die Bekämpfung der Energiearmut. Energiearme Verbraucher haben Probleme, die laufenden Energiekosten zu tragen, geschweige denn Investitionen zu deren Minderung zu tätigen. Eine klug konzipierte Ausschreibung könnte beispielsweise die Margen der Grundversorgung in nachhaltige Effizienzinvestitionen für energiearme Verbraucher umlenken. Durch eine sinnvolle Produktdefinition in der Ausschreibung können darüber hinaus zusätzliche Energiewendebeiträge gehoben werden („Energiewende ready“-Produkte).
Schreckt man vor einer weitreichenden Umsetzung von Ausschreibungen zurück, so wäre gegebenenfalls eine testweise Ausschreibung der Grundversorgung in einzelnen Netzgebieten oder Regionen als Pilot denkbar. Hierfür müssten dann rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Einen ähnlichen Effekt hätte es, wenn man die Ausschreibung der Grundversorgung optional macht, sodass sich die betroffenen Kommunen dazu entscheiden können, ihre Grundversorgung auszuschreiben oder beim alten System zu verbleiben. Aus den Ergebnissen der ersten Ausschreibungsrunden ließen sich dann Schlussfolgerungen für die Weiterentwicklung des Systems ziehen. Allein die Existenz einer solchen Option zur Weiterentwicklung des Grundversorgungssystems hätte möglicherweise einen disziplinierenden Effekt auf strategisch denkende Grundversorger.
Nutzen wir die Zeit sinnvoll für den Diskurs und die Neujustierung der Grundversorgung, sodass mit dem Auslaufen der jetzt neu beginnenden Grundversorgungsverhältnisse, die Verbraucher und ihre Interessen in den Mittelpunkt der Regelung gerückt werden können.