Windmüller und Solaranlagenbetreiber begeistern sich nicht sofort für den neuen Slogan der Bundesregierung “Efficiency First”. Jan Rosenow und Andreas Jahn halten aber 100 Prozent erneuerbare Energien ohne Energieeffizienz nicht für machbar.
Die Bundesregierung hat sich mit der Veröffentlichung des Grünbuchs „Efficiency First“ auf die Fahnen geschrieben. Von Energieeffizienzbefürwortern grundsätzlich gelobt, ruft dieses innerhalb der Branche der erneuerbaren Energien auch Befürchtungen hervor. Heißt „Efficiency First“, dass die erneuerbaren Energien zukünftig die zweite Geige spielen sollen? Wird der Ausbau der erneuerbaren Energien gebremst?
Die Antwort auf diese Fragen ist ein klares Nein. Um die Energieerzeugung komplett zu dekarbonisieren, braucht es mehr und nicht weniger Investitionen in erneuerbare Energien. Selbstverständlich kann das Energiesystem durch Energieeffizienz allein nicht dekarbonisiert werden. Allerdings lässt sich ein zu 100 Prozent auf erneuerbaren Energien basierendes Energiesystem ohne die weitgehende Ausschöpfung der Effizienzpotenziale schlicht nicht realisieren. Die Internationale Energieagentur (IEA) hat daher Energieeffizienz als „First Fuel“ bezeichnet.
Eine Studie des Wuppertal Instituts belegt, dass die notwendige Emissionsminderung, insbesondere durch die Elektrifizierung der Wärme und des Verkehrs sowohl technisch als auch ökonomisch ohne Effizienzgewinne nicht geht. Für eine erfolgreiche Energiewende brauchen wir also mehr und schneller erneuerbare Energien, aber genauso eine optimierte Nachfrage (also mehr Energieeffizienz). Den Versuch, verschwenderischen Verbrauch durch geförderte Erzeugung zu dekarbonisieren, sollten und können wir uns nicht leisten.
Effizienz spielt bisher die zweite Geige
Die Frage lautet also vielmehr: Wie können wir eine Energieversorgung aus bis zu 100 Prozent Erneuerbaren Energien erreichen und die dafür notwendigen Effizienzpotenziale systematisch erschließen? Denn dies wurde in Deutschland bisher vernachlässigt. Erneuerbare Energien wurden gefördert und Netzausbau genehmigt. Die Option der Verbrauchsverringerung hatte jedoch keinen solch erfolgreichen Fürsprecher wie die erneuerbare Erzeugung oder die Netze. Demzufolge wurden ihre geringen Kosten häufig nicht berücksichtigt.
Als Lösungsansatz hat das Regulatory Assistance Project (RAP) das Prinzip „Efficiency First“ auf europäischerund nationaler Ebene entwickelt und dessen Implementierung mitgeprägt. Im Vordergrund steht dabei der Gedanke, der vernachlässigten Ressource Energieeffizienz zur vollen ökonomischen Bedeutung zu verhelfen und diese bei Investitionsentscheidungen systematisch zu berücksichtigen. Immer dann, wenn nachfrageseitige Einsparungen oder zeitliche Verschiebungen volkswirtschaftlich günstiger sind als Erzeugungs- und Netzinvestitionen, sollte im Sinne der Kostenminimierung den Effizienzpotenzialen Vorrang eingeräumt werden. Eine solch systematische Herangehensweise ist Voraussetzung für die vollständige Dekarbonisierung des Energiesystems, da die Flächenverfügbarkeit für erneuerbare Stromerzeugung begrenzt ist.
Die Internationale Organisation für erneuerbare Energien (Irena) hat deshalb kürzlich ein Gutachten vorgestellt, das die Synergieeffekte von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien systematisch bewertet. Die Schlussfolgerung lautet: In Tandem mit Effizienz können höhere Anteile erneuerbarer Energien zu deutlich geringeren Systemkosten und einer schnelleren Dekarbonisierung des Energiesystems führen. „Efficiency First“ zielt auf eben jene Synergien ab ‑ Energieeffizienz und erneuerbare Energien sind für eine erfolgreiche Energiewende untrennbar miteinander verbunden.
Eine Version dieses Artikels erschien in Tagesspiegel BACKGROUND.